Meine Lektorin hat mir mal gesagt, das Schlimmste, was man machen kann, ist den Titel eines Buchs 1:1 auf dem Cover umzusetzen. Also bei „Brezeltango“ vorne eine Brezel drauf zu machen. Ich weiß nicht, ob das auch für Filme gilt, aber Fifty Shades of Grey beginnt mit grauen Wolken, die in rasender Geschwindigkeit über den Himmel rasen. Es wird nicht besser.
Rein theoretisch ist Shades of Grey die Geschichte eines unerfahrenen, naiven Mädchens, das sich in einen stinkreichen Typen verknallt, der auf Sado-Maso steht. Dieser Christian Grey, so stelle ich’s mir vor, müsste ein bisschen fies und gefährlich rüberkommen, ein moderner gothic hero. Vielleicht so eine Mischung aus Jack Nicholson (fies) und Johnny Depp vor zehn Jahren (sexy). Auf jeden Fall aber so, dass man nachvollziehen kann, warum sich die Studentin Anastacia Steele zu ihm hingezogen fühlt. Leider hat der Schauspieler Jamie Dornan so viel Sex-Appeal wie der gestiefelte Kater. Sein Gesicht ist so glatt wie ein Babypopo. Warum also lässt sich Ana von diesem Typen so gern verhauen? Sind es die Hubschrauberflüge über Seattle? Seine Firma, so grau und steril wie sein Name (aufgepasst! 1:1 Umsetzung!)? Seine ebenso sterile Wohnung mit dem auf Hochglanz polierten Flügel, auf dem er tieftraurig herumklimpert, damit auch der Doofste kapiert: Achtung, tragische Kindheit? Dieser Schauspieler würde sich hervorragend als Besetzung für eine Sagrotan-Werbung eignen. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, er hat einen wirklich hübschen Hintern. Dakota Johnson, das muss man zur weiteren Ehrenrettung des Films sagen, passt ganz hervorragend in die Rolle der hübschen, unschuldigen Ana. Johnson ist übrigens die Tochter von Don Johnson und Melanie Griffith und Enkelin von Tippi Hedren (Hitchcocks „Die Vögel“).
Eigentlich soll das ja ein Sex-Sado-Maso-Film sein. Komisch, dass man davon so wenig sieht, aber das wäre wahrscheinlich mit der amerikanischen Prüderie nicht zu vereinbaren gewesen. Stattdessen streicht Christian Grey unendlich langsam über Anas perfekten Körper, wahlweise mit Eiswürfeln (hatten wir das nicht schon mal?) oder Pfauenfedern: Streichelzoo für Fortgeschrittene. Im Stuttgarter Gloria-Kino, zu 90 Prozent mit Frauen unter 25 besetzt (wir vier heben den Altersdurchschnitt deutlich an) wird übrigens ziemlich viel gelacht. Bloß leider nicht unbedingt an den von der Regisseurin Sam Taylor-Johnson vorgesehenen Stellen, was für die unter Fünfundzwanzigjährigen spricht, die sich offensichtlich auch nicht so richtig von der tragischen Kindheit beeindrucken lassen, wegen der Christian Ana emotional nicht an sich heranlässt. Sie darf ihn nicht berühren und nicht küssen und er will auch nicht mit ihr im gleichen Bettchen schlafen. Gemein! Mann, Ana, wie doof bist du eigentlich? Du willst doch nur einen stinknormalen boyfriend, mit dem du einmal die Woche essen oder ins Kino gehen kannst. Stattdessen kriegst du einen Millionär mit Kindheitstrauma, der dir den Hintern versohlt, und wunderst dich, dass du damit nicht glücklich wirst. Als Christian am Ende richtig zuschlägt, aber nur, weil Ana ihn darum bittet, „weil sie ihn nur dann richtig verstehen kann“, wundert sie sich auch noch, dass er genau dies tut. Aber obwohl Christian ordentlich die Peitsche schwingt, bleibt Anas Rücken so makel- und striemenlos wie vorher. Dabei kam mir die schreckliche Assoziation mit dem saudi-arabischen Blogger Raif Sadawi. Ich fürchte, im richtigen Leben sieht man nach Peitschenhieben anders aus als Anastacia Steele. Oder ist das auch 1:1 Umsetzung ihres Namens?
Ach, hätten doch nur die Franzosen den Stoff verfilmt und einen richtigen Skandal draus gemacht, der den Medienhype rechtfertigt! Was ist das Schlimmste, was einem im Kino passieren kann? Nicht, dass der Film aufwühlt, schockiert, abstößt. Das Schlimmste ist, wenn man das Ende herbeisehnt. Fifty Shades of Grey: Der Aufreger des Jahres ist der Langweiler des Jahres.
P.S.
Vielleicht sollten wir auf die Verfilmung des 2. Bandes hoffen? Hier die Zusammenfassung der fesselnden Story von Band 2 aus Wikipedia:
Nach der Trennung am Ende des 1. Bandes erhält Ana einen Assistentenjob bei einem Verlag, den Christian prompt aufkauft. Ihr Vorgesetzter, Jack, verliert nach einem Vergewaltigungsversuch seinen Job und Ana wird befördert. Christian bringt Ana zur Vernissage von José, die beiden kommen wieder zusammen, eine Ex-Sub, Laila stalkt nach und bedroht Ana mit einer Waffe. Ana begegnet Christians SM-Ausbildnerin, Mrs. Robinson. Christian und Ana sind sehr mit ihren Selbstzweifeln und Gefühlen beschäftigt, ob sie einander verdienen und entwickeln sich beide weiter. Nach großen Verlustängsten, da Christians Helikopter verschollen ist, kommt es zum Heiratsantrag.
P.P.S.
Vielleicht doch interessanter als Helikopter-Verlustängste: die Doku über den britischen Mathematiker Alan Turing („The Imitation Game“, siehe letzte Kritik) in der Arte-Mediathek: „Wie ein Mathegenie Hitler knackte“
Ich ahnte es schon …. ;-)… instinktiv entschied ich mich gestern kurzfristig um und guckte „Verstehen Sie die Beliers“, ein wunderbarer, berührender Film!