Alles muss raus! Wir schließen diese Filiale! Die Schaufenster zur Königstraße hin sind überklebt, gelbe Schrift auf rotem Grund. Drinnen baumeln überall Plakate von der Decke, ein dichter Plakatewald. Wir schließen diese Filiale! Damit es auch alle kapieren: Karstadt in Stuttgart macht nach neunzehn Jahren dicht, im Mai schon, und nicht im Juni, wie ursprünglich geplant.
Im Erdgeschoss werden Handtaschen verkauft, sie sind im Preis auf die Hälfte reduziert. Ich suche nach Socken. Schwarze, neutrale Socken werde ich brauchen bis an mein Lebensende, und sie sind um zehn Prozent reduziert. Nicht die Welt, aber immerhin. Eine Mikrofonstimme dringt an mein Ohr. „Diese Filiale macht im Mai dicht, also kaufen Sie jetzt, solange die Auswahl am größten ist! Handtaschen um fünfzig Prozent reduziert! Diese Filiale macht im Mai dicht! Deshalb sind auch schon viele Verkäuferinnen weg, also wundern Sie sich nicht, wenn Sie niemanden mehr finden, der Sie berät! Die sind halt schon weg! Diese Filiale schließt im Mai!“ Ist das jetzt ernst gemeint, was der Mann im Anzug sagt? Ich zahle meine Socken. „Finden Sie das nicht geschäftsschädigend?“, frage ich die Frau an der Kasse und zeige mit dem Kinn in Richtung des Handtaschen-Anpreisers. „Das kommt ja geradezu zynisch rüber. Merkt er das nicht?“ Sie zuckt mit den Schultern. Sie sieht müde aus und resigniert. Immerhin ist sie in einem Alter, wo sie noch gute Chancen hat, etwas Anderes zu finden. „Ach, wissen Sie, Hauptsache, er sagt, wann die Filiale zumacht. Wir werden sonst hundertmal am Tag gefragt. Die Leute meinen es ja gut, aber wir sind es so leid, Auskunft zu geben.“ Eine seltsame Atmosphäre herrscht hier. Die Kundinnen sind auf Schnäppchenjagd, sie erjagen neben Handtaschen tonnenweise Schokolade und Pralinen, alles im Sonderangebot. Ostereier und –hasen kosten dagegen normal, klar, Ostern ist ja auch schon im April. Die Schlangen an den Kassen sind lang. Die Kundinnen sind euphorisch, die Verkäuferinnen deprimiert.
Meine Personenwaage ist kaputt gegangen, ich gehe hinauf zu den Haushaltswaren. „Da haben wir nur noch eine“, meint die Verkäuferin. „Die ist aber mechanisch.“ Sie geht mir voraus. Langsam. Sie ist nicht mehr in einem Alter, wo sie gute Chancen hat, etwas Neues zu finden. Sie führt mich in den hinteren Teil des Stockwerks. Hier ist praktisch schon alles leergeräumt. Es sieht ein bisschen aus wie nach einem Umzug, und leicht schmuddelig. Auf einem Regal liegt einsam eine riesige Personenwaage, für die müsste ich anbauen. Ich schüttel den Kopf. „Vielen Dank.“ Die Verkäuferin nickt und schlurft stumm davon.
Unterwäsche kann man auch immer brauchen. Alles reduziert. „Sämtliche Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen“, so steht es überall. Stell dir vor, du willst umtauschen, und der Laden hat dichtgemacht. Ich bezahle meine Beute. Die Kassiererin ist jung und sehr hübsch. Was macht sie noch hier? „Haben Sie schon etwas Neues gefunden?“, frage ich sie. „Nein“, zischt sie, stopft meine Sachen hektisch in eine Tüte und macht mir damit klar, dass mich das einen Dreck angeht.
Es gibt lustigere Orte in Stuttgart als Karstadt auf der Königstraße, im März 2015.