Ich gebe zu, ich finde Filme über die New Yorker Wall Street und den Börsencrash von 2007 faszinierend. Wie konnte es soweit kommen? Und hat irgendjemand irgendetwas daraus gelernt? Könnte sich Ähnliches wiederholen?
„The Wolf of Wall Street“ zeigt Leonardo DiCaprio als steinreichen Aufsteiger in fast apokalyptischen Bildern, die an die Gemälde von Hieronymus Bosch erinnern – unendliche Exzesse, Sexpartys, Drogen. Ganz anders dagegen „Margin Call“, der in nur einer Nacht in einer Bank spielt, am Tag vor dem großen Kollaps – die Verantwortlichen müssen entscheiden, ob sie die wertlos gewordenen Papiere noch verschachern, bevor es irgendjemand merkt (raten Sie mal, wie die Entscheidung ausfällt…). Nun gibt es mit „The Big Short“ einen neuen, hervorragenden Film zum Thema Finanzkrise, mit grandiosen Schauspielern besetzt.
Christian Bale spielt den Fondsverwalter Michael Burry als schuhlosen, sozial unfähigen Typen mit einem Hang zu sehr lauter Musik. Wer Christian Bale in „American Hustle“ gesehen hat, fett, bärtig und bebrillt, der wird ihn in diesem Film kaum wiedererkennen. Hey, der Kerl sieht richtig gut aus! Auch wenn er immer dasselbe blaue T-Shirt trägt. Dieser Michael Burry (der Film beruht auf realen Personen) durchschaut 2005 die Immobilienblase, die dann schließlich 2007 platzt und die Finanzkrise auslöst. Er findet heraus, dass die großen Banken Immobilienkredite mit AA+-Ratings ausstatten und im Schneeballsystem weiterverkaufen, ohne die Kreditwürdigkeit zu überprüfen, und setzt auf den Zusammenbruch des Systems. Natürlich wissen wir schon vorher, dass er recht behalten wird, aber bis das System tatsächlich kollabiert, wird der Zuschauer in einen Strudel von unzähligen Figuren mitgerissen, die alle versuchen, sich ihren Anteil am Kuchen zu sichern. Besonders tragisch ist dabei die Figur des Fondsmanagers Mark Baum (Steve Carrell), der, traumatisiert vom Selbstmord seines Bruders, allen Ernstes glaubt, an der Wall Street ginge es um Weltverbesserung und Gerechtigkeit, und jedem, der es (nicht) wissen will, seine Weltanschauung um die Ohren haut. Kaum wiederzuerkennen mit wildem Haar und Bart ist Brad Pitt als ehemaliger Börsenhai Ben Rickert, der aus dem Spiel ausgestiegen ist, aber wieder einsteigt, um zwei unerfahrenen Nachwuchszockern zu zeigen, wie man das Spiel (erfolgreich) spielt.
Der Film ist schnell, hektisch, und im Original nur dann gut zu verstehen, wenn man wirklich sehr gut amerikanisches Englisch beherrscht (was bei mir nicht der Fall ist, aber die Story erschließt sich vor allem aus den fabelhaften Schauspielern). Immer wieder wendet sich ein Schauspieler wie im Theater ans Publikum, um Finanzvorgänge zu erklären; das ist unterhaltsam und sehr erhellend. Besonders schön ist der Kommentar am Schluss: Alle, die betrogen und belogen haben, sind vor Gericht gestellt und verurteilt worden, und so etwas könnte sich niemals wiederholen. Entschuldigung, das war jetzt leider gelogen. Natürlich könnte es genau so wieder passieren. Nichts hat sich geändert, weder die Bonuszahlungen noch die Skrupellosigkeit der Menschen, die Geld verwalten. Das Faszinierende an diesem Film ist, dass man irgendwann den Eindruck hat, die Akteure wissen gar nicht mehr, was, und vor allem warum, sie es eigentlich tun. Schließlich haben sie schon längst genug Reichtum angehäuft. Das Geld ist zu etwas vollkommen Abstraktem geworden, es folgt einer Eigendynamik, die nicht mehr abzustellen ist, es zerstört soziale Beziehungen, Freundschaften, Ehen und Existenzen. Das ist die eigentliche, ziemlich schockierende Botschaft dieses Films, der uns vielleicht auch ein klitzekleines bisschen darüber nachdenken lässt, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn wir anderen ein Stück von unserem Kuchen abgeben, anstatt uns davor zu fürchten, dass sie uns etwas wegnehmen.