Haben Sie schon einmal von dem indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan gehört? Nein? Ich auch nicht. Bis ich gestern Abend den wunderbaren Kinofilm „Die Poesie des Unendlichen“ gesehen habe. Leider schon wieder ein Film, der beim Publikum durchzufallen droht, wenn man die Besucherzahlen als Maßstab nimmt. Mathe, ich gebe es gerne zu, war das Fach in der Schule, das ich am meisten gehasst habe. „Etwas geht gegen unendlich.“ Na und? Ich konnte es mir nicht vorstellen und es interessierte mich nicht, es war mir einfach viel zu abstrakt.
Der Film „Die Poesie des Unendlichen“, der im Original viel treffender „The Man who knew infinity“, also etwa, „Der Mann, der die Unendlichkeit kannte“, heißt, erzählt die wahre Geschichte des Mathegenies Srinavasa Ramanujan. Ramanujan, Autodidakt, lebte Anfang des letzten Jahrhunderts in Madras als einfacher Büroangestellter (und dieser Teil des Films liefert wunderbare Bilder aus Indien). Einer seiner Vorgesetzten erkannte sein mathematischen Fähigkeiten und ermunterte ihn, Kontakt zu britischen Wissenschaftlern zu suchen. Das Wunder geschieht: Ramanujan wird 1914 von dem Mathematiker G.H. Hardy ans renommierte Trinity College nach Cambridge eingeladen. Ich musste wirklich lachen, weil ich vor einigen Jahren eine Führung im Trinity College gemacht habe und die kuriose Tatsache zur Kenntnis genommen habe, dass nur die Lehrkräfte über den Rasen gehen dürfen, Normalsterbliche nicht. Und tatsächlich begeht Ramanujan als Erstes diesen Faux pas und wird zurückgepfiffen, als er über den Rasen läuft.
Das ist nicht das einzige Missgeschick, das Ramanujan passiert. Er hat Probleme mit der steifen britischen Art, mit dem Essen, und vor allem mit dem strengen wissenschaftlichen System. Er soll beweisen, wie er zu seinen Ergebnissen kommt, sonst sind die Ergebnisse wertlos. Aber das kann Ramanujan nicht. Seine Formeln sind die Folge von Eingebung und Intuition. Göttlicher Eingebung, wohlgemerkt, weswegen es schade ist, dass das Wort „Unendlichkeit“ im deutschen Filmtitel fehlt. Dass Ramanujan damit in Cambridge und bei seinem atheistischen Mentor Hardy keinen Stich macht, ist klar. Und so leidet Ramanujan unendlich in diesem System. Er leidet unter der Kälte, sowohl der Menschen als auch des Klimas, er leidet am Essen, das für einen Vegetarier nicht geeignet ist, er leidet am Rassismus, der ihm brutal entgegenschlägt, und daran, dass ihm die Menschen nicht in die Augen sehen. Vor allem aber leidet er an Heimweh und daran, dass er seine Frau in Indien zurücklassen musste. Schließlich erkrankt Ramanujan an Tuberkulose, er kehrt nach Kriegsende zurück nach Indien und stirbt ein Jahr später. Bis heute werden seine Berechnungen und Formeln von der Wissenschaft ausgewertet.
Zwei großartige Schauspieler, Dev Patel („Slumdog Millionaire“) und Altmeister Jeremy Irons als Hardy machen aus der Beziehung der beiden ungleichen Mathematiker ein Lehrstück in Sachen kulturelle Unterschiede. Hardy versucht über lange Zeit, Ramanujan zu brechen und ins westliche System zu pressen. Es dauert sehr lange, bis er erkennt, was er seinerseits von Ramanujan lernen kann, insbesondere, wenn es nicht um Wissenschaft, sondern um Freundschaft geht. Ein trauriger Film, vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass einer der Gründe, warum die Briten möglicherweise die EU verlassen, der noch immer weitverbreitete Rassismus ist; man will keine Flüchtlinge aufnehmen. Bestimmt aber kein Film nur für Mathefans, sondern ein Film über das Wesen des Genies. Es scheint Menschen zu geben, denen ist nur eine kurze Lebensspanne beschieden, von Mozart bis Schlingensief, und in dieser Zeit arbeiten sie wie die Wahnsinnigen und hinterlassen Großartiges. Das ist tragisch und tröstlich gleichzeitig.