So schön war die Zeit: Grachmusikoff sagt zum Abschied überhaupt nicht leise Servus

Beim Lab-Festival ist es eigentlich immer voll. Doch der Sonntagabend sprengte alle Rekorde, und so voll hat man das Zelt bei den Berger Sprudlern selten erlebt. Der Grund: Die legendäre schwäbische Band Grachmusikoff gab ihr Abschiedskonzert.

Für alle Nicht-Stuttgarter: Das Lab-Festival ist ein Musikfestival, das jedes Jahr am letzten August-Wochenende alle die glücklich macht, die nicht in Urlaub sind. Es findet statt im Schlossgarten, nur ein paar hundert Meter vom Mineralbad Leuze entfernt, es ist umsonst und es wird organisiert vom legendären Music-Club Laboratorium. Dort leben die letzten Langhaarigen dieser Erde, dort wird Blues, Rock, Americana und Weltmusik gespielt. 112 mal (!) ist Grachmusikoff im Club und beim Lab-Festival aufgetreten! Dass der Abschied am Sonntagabend, Auftritt 113, die Massen anlocken würde, war klar. Unzählige Fans hat diese Band, die ursprünglich aus Bad Schussenried stammt, und die es seit 1978 gibt. Um es gleich vorab zu sagen, es handelte sich ausnahmsweise nicht um ein Multikulti-Event. Wer des schwäbischen Idioms nicht mächtig ist, der hat an Grachmusikoff keine Freude. Denn Grachmusikoff ist die Band, die seit Jahrzehnten beweist, dass Rock, Blues und Reggae einerseits und Schwäbisch andererseits kein Widerspruch sein müssen. Die Texte und dazu die Moderation auf der Bühne sind schwäbisch-derb und nicht eben zimperlich, ganz, ganz weit weg vom Betulichen und Beschaulichen. Volkstümlich, ja, aber tanzbar und definitiv nicht für Besenwirtschaften geeignet. Damit hat die Band einen Nerv getroffen, und sie waren so eine Art feste Konstante. Grachmusikoff war einfach immer da.

Das Herz der Band sind die Gebrüder Köberlein. Zwillinge, um es genau zu sagen. Vor vielen Jahren habe ich sie einmal in Kirchentellinsfurt interviewt, wo sie eine Art Büro hatten. Ich hänge den Artikel aus den frühen neunziger Jahren mit sehr lustigen Fotos, auf denen die Brüder im Gegensatz zu heute noch kein Holz vor der Hütte hatten, am Schluss an. Es war auch ein sehr lustiges Gespräch, das weiß ich noch. Vor allem, als ich die beiden fragte, ob sie typische Zwillinge seien, was beide entrüstet verneinten. Das Gespräch lief dann so, dass immer einer den Satz anfing und der andere beendete ihn. Sie hatten außerdem im gleichen Jahr geheiratet, Kinder bekommen und sich im gleichen Jahr scheiden lassen, aber typische Zwillinge waren sie nicht, i wo!

Der größte Hit von Grachmusikoff gehört streng genommen nicht dieser Band, sondern „Schwoißfuaß“, einem Band-Ableger von Alex Köberlein: „Oinr isch emmr dr Arsch“, hochdeutsch etwa, „Einer ist immer das arme Schwein, und er weiß nicht mal, warum. Einer bleibt immer übrig, und keiner schert sich drum…“

Diesen Song spielen die Gebrüder Köberlein vor den Zugaben. Das ganze Zelt und alles drum rum grölt mit. Es ist einer dieser Abende, die zeigen, dass es in Stuttgart sehr viele Menschen gibt, die sich nicht um Klamotten und Haarschnitt scheren. Die politisch interessiert sind (die Schnittmenge zwischen Lab-Festival und S-21-Demonstranten ist hoch), die lieber eine Halbe trinken als Prosecco, und die es verstehen, zu feiern. Ganz jung sind diese Menschen nicht, wer unter vierzig ist, fühlt sich da möglicherweise schon etwas fehl am Platz, und über siebzig zu sein ist vollkommen legitim. Da fließt das Bier und der Schweiß, da wird getanzt und gegrölt, dass das Zelt nur so kocht. Ja, es ist so ein Abend, wo sich mancher Reigschmeckte vermutlich sehr wundern würde, dass Stuttgart so ganz anders ist als es das Klischee noch immer vermuten lässt. Die Musiker bedanken sich beim Lab – „das war immer unser zu Hause, nicht das Theaterhaus!“ Als Zugabe gibt es dann noch den Rastaman und zum Schluss eine anfangs sehr melancholische, dann immer wildere und zunehmend ausartende Version von „So schön war die Zeit.“ Da werden die Wunderkerzen geschwenkt, aber es ist so laut, dass für Melancholie dann doch nicht viel Platz bleibt. Vorbei. Ach, Grachmusikoff, ihr seid doch nicht zu ersetzen!

Grachmusikoff Böbl Kreiszeitung

P.S. Es gibt noch zahlreiche Abschiedskonzerte von Grachmusikoff im Herbst, und am 22. September spielen die Köberleins und der Hansi auf dem Kirchplatz in Stuttgart-Stammheim – umsonscht!
http://veranstaltungen.stuttgarter-nachrichten.de/event/detail.php?event=825-Jahre-Stammheim-feiert%3A-Grachmusikoff_2017-09-22

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