Der Film „The Darkest Hour“ läuft schon seit ein paar Wochen in unseren Kinos. Wer Gary Oldmans umwerfende Darstellung des britischen Premierministers Winston Churchill noch nicht gesehen hat, dem sei dieser Film wärmstens ans Herz gelegt.
Der Blog hat ein bisschen Pause gemacht, weil ich sehr intensiv und fleißig an meinem neuen Line-Roman arbeite – „Schätzle allein zu Haus“, Höhepunkt und Abschluss der Pipeline-Praetorius-Romane, wird Ende September erscheinen! Erste Lesungen sind schon gebucht, die Buchpremiere am 30. September (Matinée) im Stuttgarter „Theater der Altstadt“ ist auch bestätigt. Und nicht vergessen, es gibt ja auch noch ein paar Lesungen zu „Kleine Verbrechen erhalten die Freundschaft“ und das „Lesezeichen“ am 25. März. Alle Termine unter http://www.e-kabatek.de/termine/default.htm
Nun aber zum Film. Wir schreiben das Jahr 1940. Nach einer Regierungskrise wird Winston Churchill vom König zum neuen Premierminister ernannt und muss das Land durch den 2. Weltkrieg navigieren. Hitler überrennt Europa und Churchill muss sich entscheiden: Soll er mit Hitler und Mussolini über ein Friedensabkommen verhandeln oder versuchen, Hitler Paroli zu bieten, mit unabwägbaren Folgen für sein Land?
Gary Oldman ist als Schauspieler in Deutschland nicht so bekannt (wer ihn als Sirius Black aus den Harry-Potter-Verfilmungen in Erinnerung hat, wird ihn als Churchill kaum wiedererkennen). Er spielt diesen Premierminister als cholerischen, impulsiven Mann, der innerlich tief gespalten ist und keineswegs irgendeine Art von fertigem Plan hat, wie er Großbritannien in Kriegszeiten am Besten führen soll. Zudem ist er politisch isoliert und überall lauern Feinde, die ihm das Regieren schwer machen. Auch König Georg VI („Bertie“, das ist der mit dem Stottern aus dem Film „The King’s Speech“) ist nicht besonders glücklich mit seinem neuen Premier, der keine klare Linie zu haben scheint.
Es ist aber gerade dieses Zaudern und Zögern, dieses Brüten und durchaus auch Andere-um-Rat fragen, das diesen Staatsmann, der, wenn es denn sein muss, auch ganz schön auf den Tisch hauen kann, um seine politischen Feinde in Schach zu halten, so überzeugend macht. Zwei wichtige Accessoires durchziehen diesen Film: Zigarren und Whisky-Gläser. Churchill ist ständig in Zigarrenrauch gehüllt, schon morgens beim Frühstück, was aus heutiger Sicht sehr exotisch wirkt, und er ist Alkoholiker. Das geht meistens, aber nicht immer gut, und nimmt tragikkomische Züge an, wenn Churchill zu tief ins Glas geschaut hat und seiner bedauernswerten Typistin (zu der er dann doch so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung entwickelt) versucht, eine Rede in die Schreibmaschine zu diktieren, obwohl er eigentlich keinen sinnvollen Satz zustande bringt, und so nuschelt, dass sie ihn kaum versteht. Er nuschelt nämlich sowieso schon, und wenn dann noch der Alkohol dazukommt, versteht man ihn kaum (was den Film in der englischen Fassung unbedingt lohnenswert, aber nicht ganz einfach macht). Da fragt man sich dann doch, wie es diesem instabilen Mann gelingen soll, Großbritannien durch den 2. Weltkrieg zu führen (auch wenn wir natürlich wissen, dass es ihm gelungen ist).
Jeder große Mann hat eine große Frau, die hinter ihm steht: Kristin Scott Thomas, berühmt geworden als kühle blonde Schönheit in „Der englische Patient“ spielt Churchills Frau Clementine als eine Persönlichkeit, die um die Schwächen ihres Mannes genau weiß. Auch wenn die beiden in getrennten Betten schlafen, gibt sie ihm doch genau das, was er dringend braucht: den emotionalen Rückhalt für sein schweres Amt und für unpopuläre Entscheidungen, und den Glauben an sich selbst. Sie schreckt auch nicht davor zurück, ihrem Mann klipp und klar die Meinung zu sagen, wenn er sich (mal wieder) daneben benommen hat.
Es gibt große Kontroversen, ob dieser Film historisch korrekt ist. Umstritten ist vor allem eine Szene, in der Churchill mit der Londoner Tube fährt, um die Stimme des Volkes zu hören, um danach seine berühmte Rede zu halten, die mit den Worten „We shall never surrender!“, endet (Wir werden uns niemals ergeben). Nein, diese höchst emotionale, cineastisch sehr wirkungsvolle Szene ist nicht belegt, und sie ist auch vollkommen unnötig. Übrigens bezieht sich der Supertramp-Song „Fool’s Ouverture“ auf Churchill, und seine berühmten Worte sind darin zu hören (ca. nach zweieinhalb Minuten auf dem Video)
In England wird The Darkest Hour auch als Beitrag zur Brexit-Debatte gesehen. Leider, muss man sagen. Nämlich als eine Bestätigung der Brexit-Befürworter dafür, dass Großbritannien selbst Hitler widerstanden hat, immer sein eigenes Ding durchgezogen hat und niemals von fremden Mächten eine Invasion erdulden musste, und deshalb wird es auch den Brexit meistern. Bloß: Die Zeiten haben sich geändert. Großbritannien ist nicht mehr die Seemacht, die ihre Jungs aus der Hölle von Dünkirchen herausholt. Ich finde es ärgerlich, dass der Film auf diese Weise instrumentalisiert wird. Für mich zeichnet er das Porträt einer äußerst widersprüchlichen, faszinierenden und – very british – exzentrischen Persönlichkeit, die trotz aller Unberechenbarkeit, aller Launen und Ticks völlig uneitel Tag und Nacht darum kämpft, den besten Weg für Großbritannien in der dunkelsten Stunde des 2. Weltkriegs zu finden.
Am 4. März wird der wichtigste Filmpreis der Welt verliehen. „Die dunkelste Stunde“ ist für sechs Oscars nominiert. Ich würde Gary Oldman ohne zu zögern den Oscar für den besten Hauptdarsteller geben! Im nächsten Oscar-Check wird es um den Film „Three Billboards outside Ebbing“ gehen.
Rather shocking: „Fifty Shades Freed“ (ich habe gerade – Freud’scher Fehler – Fifty Shades Greed getippt) hat nach dem Filmstart weltweit bereits 135 Millionen Dollar eingespielt. Man fragt sich schon, wer für so was Geld ausgibt, wenn es im Moment so viele fantastische Filme im Kino zu sehen gibt. Oskar-Kandidaten, eben. Es reicht, sich den Trailer anzuschauen, um den Film gesehen zu haben. Dieser Film behauptet, eine erotische Geschichte zu erzählen. Tatsächlich macht er nur eins: Product Placement. Aber heute ist Valentinstag, und das wird unzählige Paare weltweit in den Film treiben. Dabei ist Valentinstag auch nichts Anderes als Product Placement… oder ist das unromantisch?
P.S. Wem würden Sie 2018 den Oscar für den besten Hauptdarsteller verleihen? Wenn Sie mögen, schicken Sie mir eine Nachricht über die Kommentarfunktion in der Benachrichtigungsmail.
Liebe Lisa,
ich habe den gelungenen Film gesehen, an den ich mich dank Deines Blogs gern noch einmal erinnere. Den für mich neuen Aspekt der Rezeption des Films in GB im Rahmen der Brexitdebatte fand ich spannend – und wirklich schade…
Danke auch für den Link zu dem toll live gespielten Supertramp-Track, der mich berührt hat. Die waren schon genial.
Achja, und Gary Oldmann oskarverdächtig!!!
Grüsse von Barbara aus Königswinter