Gestern Abend habe ich mir geschworen, ich reg mich nicht auf. Und mein erster Blog nach der Sommerpause sollte eigentlich ein fröhlicher werden. Wird er aber nicht, weil ich reg mich auf. Irgendwelche rassistischen Idioten haben das Foto von Erick Marigu, unserem schwarzen Hauptdarsteller in „Allein unter Schwaben“, auf dem Plakat des „Theaters der Altstadt“ mit schwarzer Farbe übersprüht.
Beim Theater der Altstadt im Stuttgarter Westen hängen zwei Plakate zur neuen Spielzeit 2018/19, eines an der Bürotür, eines am Eingang des Theaters im Glaskasten zur Bushaltestelle hin. Auf den Plakaten ist die Tanzszene von Sara (Stefanie Friedrich) und Malik (Erick Marigu) aus „Allein unter Schwaben“ zu sehen, und auf beiden Plakaten ist das Gesicht von Malik/Erick mit schwarzer Farbe übersprüht worden, so dass man es nicht mehr erkennen kann.
Ich wollte mich nicht aufregen. Vor allem deshalb nicht, weil die Idioten, die so etwas machen, dann erreicht haben, was sie wollen, und je mehr Aufmerksamkeit sie bekommen, desto mehr suhlen sie sich darin. Ich rege mich aber auf. Wie feige ist es, mit einer Sprühdose über ein Plakat zu gehen, irgendwann in der Nacht wahrscheinlich? Ein Gesicht unkenntlich zu machen und das eigene nicht einmal zu zeigen, sondern einfach abzuhauen? Diese Szene, die das Foto so wunderbar einfängt, ist für mich eine der Kernszenen von „Allein unter Schwaben.“ Die Idee für die kleine Tanzszene ist übrigens beim Proben entstanden, sie stammt nicht von mir, aber ich fand sie von Anfang an großartig. Sara und Malik sind zum ersten Mal allein in Saras Zimmer, und sie tanzen miteinander. Und man spürt: Da sind zwei, die sich mögen. Zwei, denen Hautfarbe, Herkunft, Reichtum, einfach vollkommen egal sind, die einfach Spaß miteinander haben und – Tanzen. Sara ist die einzige Figur im Stück, die überhaupt keine Vorurteile hat, sondern Malik als das nimmt, was er ist: Ein Mensch. Dass nun ausgerechnet dieses Foto, diese Szene von rassistischen Idioten übersprüht worden ist, das fröhliche, strahlende Gesicht von Erick, und das nicht irgendwo im Problemviertel, sondern auf einer vielbefahrenen Straße im wohlhabenden Stuttgarter Westen, ist einfach unfassbar, es ist schmerzhaft und lässt die Fassade des toleranten, multikulturellen Stuttgart bröckeln. Auch wenn ich weiß, dass nicht Erick persönlich gemeint ist, tut es mir weh. Erick Marigu stammt aus einem Slum in Nairobi, Kenia, er hat sich aus dem Slum nach oben gearbeitet, und er hat während der Proben zu „Allein unter Schwaben“ parallel auf die schwierige Deutschprüfung B2 gelernt – so wie Malik auch im Stück Deutsch lernen muss. Und er hat beides geschafft, den schwierigen Text zu lernen und auf seine Prüfung. „When Stephan (Regisseur Stephan Bruckmeier) invited me to work on a new project, „Allein unter Schwaben“ I was not sure how I was going to manage that, because of the fact that it is a deutsch play and my deutsch is catastrophic, the grammar is such a big challenge“, schrieb er einmal, nach seinen Erfahrungen gefragt, und dann „It was such an emotional start for me. A new family far away from home. (…) I have learnt a lot through the whole process and am so grateful.“ Es tut mir weh, zu wissen, dass Eric, der so hart gekämpft hat für seine Rolle, und das Publikum jeden Abend um den Finger gewickelt hat mit seiner unglaublichen Ausstrahlung, nun erfahren muss, was mit seinem Foto geschehen ist, und ich kann nur hoffen, dass er sich davon nicht frustrieren lässt und seinen Weg weitergeht. Im Juli 2019 wird das Stück wiederaufgenommen.
Das Theater der Altstadt selbst hat übrigens beschlossen, eines der beiden Plakate als „Mahnmal“ hängenzulassen und auf die Bewegung „Wir sind mehr“ zu verweisen. Susanne Heydenreich, die Intendantin schreibt, „Als ich heute vormittag vor der Büroglastür stand, bekam ich Gänsehaut – Zum ersten Mal wurde ich unmittelbar mit Hass und Ausgrenzung von andere Menschen einem Mitglied unseres Ensembles gegenüber konfrontiert. Mich macht diese unnötige und beleidende Aktion wütend und traurig und es macht mir Angst. Nur eine Kleinigkeit…? Aber es ist ein Anfang – denen, die diese aggressive Haltung visuell umsetzen wollen, müssen wir uns entgegenstellen.“
Ich wünsche uns allen, dass wir es schaffen, den Mund aufzumachen, wenn wir Alltagsrassismus begegnen – in der U-Bahn, im Büro, bei einer Party. Es darf nicht normal werden, jetzt, wo die Rassisten sogar schon im politischen Establishment angekommen sind, und nicht mehr allein bei der AfD hocken. Die Leute müssen merken: Wir lassen euch nicht davonkommen, wir lassen uns unsere Welt nicht kaputtmachen von euch!
P.S. Und trotzdem geht das Leben weiter, und am 26. September erscheint „Schätzle allein zu Haus!“ Buchpremiere mit viel Musik von Susanne Schempp und Böny Birk am 30. September, 11 Uhr, Theater der Altstadt, das Kartentelefon ist wieder besetzt: 0711 99 88 98 18.
Oder über Reservix:: https://theater-der-altstadt.reservix.de/p/reservix/group/213927
Weitere Lesungen unter http://www.e-kabatek.de/termine/default.htm
Danke, dass Du diesen feigen Angriff auf die freie Meinung, auf Lebensfreude und Vielfalt öffentlich gemacht hast. Das stärkt mich hoffentlich auch für den Moment, in dem ich Mut brauche, um jemanden nicht alleine zu lassen, um laut Stop zu sagen, um genau hinzusehen und zu berichten.
Ich bin total geschockt über diesen Blog.Jetzt schwappt es aus dem Ostern rüber. Wo führt das noch hin? Vielen Dank aus MH a.d.Ruhr
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