Gesehen. Die Kameliendame – es ist zum Heulen

Das Stuttgarter Ballett nimmt zum 40jährigen Jubiläum John Neumeiers „Kameliendame“ wieder auf. Und am Schluss kann man nur noch heulen.

1978 wurde die „Kameliendame“ in Stuttgart uraufgeführt. John Neumeier schrieb sie Marcia Haydée auf den Leib und widmete ihr das Ballett, ihr damaliger Partner war Egon Madsen. Nun, gut vierzig Jahre später, tanzen die beiden Stars Alicia Amatriain und Friedemann Vogel die Hauptrollen in der Stuttgarter Oper, im sehr schönen Programmheft kann man sehen, dass Neumeier extra nach Stuttgart kam, um bei der Einstudierung zu helfen. Man kann kaum glauben, dass die beiden das Stück noch nie zusammen getanzt haben! Und ich kann kaum glauben, dass ich die Kameliendame noch nie gesehen habe! Jason Reilly gibt darüber hinaus sein Rollendebüt als Monsieur Duval. Es wird ein triumphaler Abend für alle Beteiligten. Alicia gibt sich so vollkommen in die Rolle der Marguerite Duras, dass man versucht ist, aufzustehen und zu brüllen, „Ist ein Arzt in der Oper“, so krank sieht die an Schwindsucht leidende Tänzerin (nein, nicht die Tänzerin natürlich, sondern die Rolle) aus, so laut scheint man ihr lautloses Husten zu vernehmen. Zur Erinnerung: In der literarischen Vorlage von Alexandre Dumas ist Marguerite Duras eine Pariser Kurtisane, die ein ausschweifendes Leben führt, bis sie sich unsterblich in Armand Duval verliebt. Das Paar macht seine Liebe öffentlich, doch Armands Vater Monsieur Duval fordert Marguerite heimlich auf, seinen Sohn in Ruhe zu lassen, weil sie seinem Ansehen schadet (in dieser Rolle brillierte übrigens einst Reid Anderson, der im Sommer aus dem Amt geschiedene Intendant des Stuttgarter Balletts). Marguerite kommt dem nach, nicht, weil sie Armand nicht liebt, sondern weil sie ihn schützen will. Es kommt zu einer dramatischen Trennungsszene, und ab diesem Moment straft Armand Marguerite mit Verachtung. Erst nach Marguerites Tod erfährt Armand die Wahrheit, und bricht vor Trauer zusammen.

Großes Kino also in den wunderschönen Kostümen und Kleidern von Jürgen Rose, und Alicia und Friedemann tanzen dies so intensiv bis zur letzten Sekunde, dass man es kaum aushält und so schrecklich mitleidet, dass die halbe Oper am Ende in Tränen aufgelöst ist. Dann fällt der Vorhang, und als er sich wieder öffnet, stehen Alicia und Friedemann da, und man sieht, dass sie die Hunderte Zuschauer vollkommen ausblenden, sie stehen nur da, vollkommen erschöpft (vor allem Alicia, die immer noch total krank aussieht), schauen sich voller Hingabe an, küssen sich und nehmen sich in den Arm, und dann muss man noch mehr heulen, und dann kommt Marcia Haydée auf die Bühne, und dann küssen sich Alicia und Marcia, voller Hingabe, die alte und die neue Kameliendame, in gegenseitiger Bewunderung, und dann muss man noch mehr heulen. Es gibt noch weitere Termine in dieser Spielzeit!
http://www.stuttgarter-ballett.de

Ganz großes Kino ist auch „Der Bergdoktor“ im Fernsehen. Da ich donnerstags normalerweise keine Zeit habe, konnte ich bisher nicht herausfinden, warum Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem Fernseher kleben, wenn Dr. Gruber ermittelt, äh nein, natürlich behandelt. Letzten Donnerstag habe ich endlich verstanden, was die Menschen an den Bildschirm fesselt! Dr. Gruber ist der Traum eines jeden Kassenpatienten. Seine Praxis liegt nicht im vierten Stock eines gesichtslosen Hochhauses, sondern in einem freistehenden, schmucken Alpenhof mit vielen, läuselosen Geranien. Bei Dr. Gruber bekommt man sofort einen Termin, man schneit einfach vorbei, Wartezeiten gibt es keine. Die knuffige, leider ziemlich indiskrete Arzthelferin ist seine Tochter. Er ist einfühlsam, telefoniert einem auf dem Handy hinterher, und er kann einfach alles, obwohl er Allgemeinarzt ist, sogar Ultraschall für Schwangere, und er darf sogar Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Seine Patientin (verheiratet, zwei erwachsene Kinder) steht nämlich vor der grausamen Entscheidung, ob sie das ungeplante Kind von ihrem Liebhaber bekommen soll, der blöderweise 25 Jahre jünger ist. Zum Glück für die Sendung und die allgemeine Moral wird ihr die Entscheidung am Ende abgenommen, sie hat nämlich einen Tumor in der Gebärmutter, und das Kind wäre sowieso nicht lebensfähig. Drumherum gab es irgendeine Familienerbfehde, die hab ich aber nicht kapiert, weil ich die vier Millionen Folgen davor nicht gesehen habe. Ich werde jetzt aber ganz sicher einen Trip nach Ellmau planen, wo die Serie spielt, da gibt es nämlich umsonst Führungen auf den Spuren des Bergdoktors.

Großes Kino verspricht auch die Lesung „Schätzle allein zu Haus“ am 19. Februar zu werden. Da sind Susanne Schempp und ich wieder bei Maschinenbau Schnaithmann in Remshalden zu einer Benefizveranstaltung eingeladen, der Erlös des Abends kommt dem Verein F.U.N.K. zugute, der sich um neurologisch erkrankte Kinder kümmert. Wir hatten schon einmal eine Lesung dort, und sie war einfach grandios: Riesenbühne, Riesenaufwand, Riesenbahnhof! 120 Eintrittskarten sind schon verkauft, wer noch eine haben will, muss sich beeilen! Kartenreservierung unter tickets@schnaithmann.de!

Und am 24. Februar gibt es um 11 Uhr im Theater der Altstadt eine neue Ausgabe der beliebten Reihe „Lesezeichen“, wo ich bei einem gemütlichen Frühstück mit Intendantin Susanne Heydenreich über Bücher reden werde. Ich werde Bücher mitbringen von Juli Leuze und Haruki Murakami, soviel steht schon fest!

https://www.theater-der-altstadt.de/Was-wird-gespielt/Lesezeichen/

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