Brünn/Brno Tag 2: Heute absolviert die Delegation ein strammes Programm und staunt über Brünn als Stadt der Forschung, Bildung und Versöhnung.
Gruppenbild der Stuttgarter Delegation
In Brünn wurde sozusagen die Genetik erfunden, denn hier begründete Gregor Johann Mendel seine Vererbungslehre, die wir (hoffentlich) alle im Biologie-Unterricht durchgenommen haben. Wissenschaftsstadt ist Brünn bis heute geblieben, und so beginnt unser Tag im CEITEC, dem Central European Institute of Technology auf der Campus Universität. 80.000 Studierende gibt es in Brünn, bei 400.000 Einwohnern also eine echte Studentenstadt. Und die Stadt der Elektronenmikroskopie: 30 Prozent aller Elektronenmikroskope weltweit werden in Brünn hergestellt. Im CEITEC geht es vor allem um Nano- und Mikrotechnologie. Im sogenannten Reinraum werden funktionale Einheiten hergestellt, was eine klinisch reine Umgebung erfordert, so dass alle, die hier forschen und arbeiten, Gesichtsschutz, Schutzanzug und Handschuhe bei der Arbeit tragen müssen. Nicht nur die Ausrüstung erschwert die Arbeit, auch das gelbe Licht, das sehr schnell sehr müde macht.
Der Boden hat Löcher, um den Staub abzusaugen. Vielleicht wäre das ja auch ein neues Wohnmodell für die schwäbische Hausfrau? Die Delegation muss zum Glück nur Plastikschuhe überstreifen.
Sehr beeindruckend, wie hier gearbeitet und geforscht wird! Wie es sich für ein modernes Institut gehört, gibt es natürlich auch einen Tischkicker zur Entspannung, wo sich dann „grün“ gegen „schwarz“ ein heißes Match liefert, und grün und schwarz sind in diesem Fall nicht nur die Kicker-Männchen…
Unsere zweite Station erinnert an die Ökostation Wartberg. Mitten in Brünn wurde ein sogenannter Open Garden eingerichtet. Als wir ankommen, wuseln lauter Schulkinder durch den Garten, der als Bildungsgarten konzipiert ist. Hier geht es um die vier Elemente Wasser, Sonne, Erde und Wind. Jedes Element hat einen eigenen Bereich in dem Garten, der so liebevoll gemacht ist, dass man sich sofort wohl und geborgen darin fühlt. Hier geht es darum, Stadtkindern die Natur, die Herkunft der Lebensmittel, Ökologie und ganz praktisches Wissen wie Gärtnern und Kochen näherzubringen. Es gibt Bienenstöcke, Nutzpflanzen, Ziegen und Hasen, vor allem geht es aber auch um Nachhaltigkeit, um Solarenergie, den Verzicht auf Pestizide und Torf, und die Toiletten werden mit Regenwasser gespült. Eine wunderbare grüne Oase, die mit dem Boromäus-Garten auch eine ehemalige Klosteranlage umfasst. Ein ganz anderes Thema, aber genauso beeindruckend wie das CEITEC!
Volunteers richten einen Kleinkindergarten ein
Auch so manches Mitglied der Delegation finde ich beeindruckend. Zum Beispiel Gödzem Göksu, die Sprecherin des Jugendrates Stuttgart ist und gerade Abi gemacht hat. Seit sie 14 ist, engagiert sie sich im Jugendrat, weil sie Jugendliche für Politik interessieren und begeistern will. Jetzt plant sie, in Tübingen Jura zu studieren. Wir drücken die Daumen!
Beeindruckend geht es weiter: Im Rahmen der Schulpartnerschaften zwischen Brünn und Stuttgart – 16 Schulen kooperieren hier! – singen 25 Kinder der Grundschule Antoninská, die seit der 1. Klasse Deutsch lernen, ein Jahreszeiten-Medley in richtig tollem Deutsch!
Schlag auf Schlag geht’s weiter: Im JIC, dem Südmährischen Innovationszentrum, sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen 3-D-Drucker. Das Besondere an diesem Zentrum ist, dass es jedem, der möchte, ermöglicht, nach einer kurzen Einführung einen 3-D-Drucker zu benutzen und Modelle auszudrucken, was natürlich vor allem bei Jugendlichen beliebt ist.
Der Tag endet mit einer bewegenden Gedenkfeier, die als Auftakt zum Versöhnungsmarsch am Samstag gedacht ist. Sie findet statt bei der Gedenkstätte des Kaunitz-Wohnheimes, einem Studentenwohnheim. Was als ein Ort der Bildung und Kultur errichtet wurde, wurde zum einem Ort des Grauens. Erst von 1939-1945 als Gestapogefängnis, dann nach Kriegsende, als sich die Machtverhältnisse umkehrten, als ein Gefängnis für Deutsche, in dem gefoltert und gemordet wurde. Es ist eine bewegende Feier, bei der die Stadtoberhäupter von Stuttgart und Brünn Kränze und die Teilnehmer der Delegation Rosen ablegen. Bewegend auch für mich persönlich, denn mein Vater war Sudetendeutscher, der mit seinen Eltern zwar nicht aus Brünn, sondern aus Reichenberg vertrieben wurde. Das Trauma der Flucht hat er sein Leben lang nicht verarbeitet.
„Den Hass ersetzen wir durch Versöhnung. Versöhnung führt zu gegenseitigem Respekt und zur Partnerschaft miteinander“, sagt Petr Kalousek vom Festival „Meeting Brno“ in seiner Ansprache. „Das sind die Werte, die wir gerne langfristig in der EU sehen würden.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ahoj, vielen Dank für die vielfältigen und bewegenden Eindrücke.
Auf nach Brno!