Brunch mit blauem Stuttgart-Stuhl

Brünn/Brno Tag 4: Höhepunkt und Abschluss der Delegations-Reise ist ein sonntäglicher Brunch in der von Mies van der Rohe erbauten Vila Tugendhat.

Nach dem emotionalen Höhepunkt mit dem Versöhnungsmarsch am Samstag folgt am Sonntagmorgen der künstlerische Höhepunkt der Stuttgarter Delegationsreise: Unsere Gruppe ist von der Stadt Brünn in die Vila Tugendhat eingeladen. Das UNESCO-Weltkulturerbe ist sicherlich das Highlight jedes Brünn-Besuchs und so beliebt, dass bis Ende des Jahres keine Eintrittskarten mehr zur Verfügung stehen! Beim Versöhnungsmarsch haben uns viele Brünner erzählt, dass sie die Vila noch nie von innen gesehen haben, weil es so schwer ist, an Karten zu kommen. Wir fühlen uns also sehr geehrt!

Begrüßt werden wir von der Direktorin Iveta Cerná (auf dem Foto ganz rechts). Natürlich denkt man bei Mies van der Rohe sofort an die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart, und tatsächlich gibt es viele Verbindungen und Kooperationen zwischen beiden Welterbe-Stätten. Aber auch Weltpolitik wurde in der Vila gemacht: Unter dieser Weide haben die Premierminister Tschechiens und der Slowakei, Václav Klaus und Vladimír Mečiar, am 26. August 1992 die Aufteilung der Tschechoslowakei in zwei getrennte Staaten besiegelt.

Wir genießen einmal mehr die Gastfreundschaft der Stadt Brünn!

Nach dem wunderbaren Brunch werden wir durch die Vila geführt. Die schlichte Schönheit des Hauses, das von einem riesigen Park umgeben ist, ist einfach umwerfend. Es gibt sogar einen Stuhl, den Mies van der Rohe Stuttgart-Stuhl nannte. Deswegen brauchen wir natürlich unbedingt ein Bild unseres Oberbürgermeisters Fritz Kuhn mit dem blauen Stuhl.


Schlicht und schön: das Bad

Mies van der Rohe hatte das Haus so konzipiert, dass im ersten Stock der Ausblick auf die Stadt und im Erdgeschoss der grüne Park dominieren. Die Vila erbaute er für das jüdische Ehepaar Grete und Fritz Tugendhat. Grete Tugendhat bekam das Haus von ihrem Vater Alfred Löw-Beer zur Hochzeit geschenkt. Er stellte Mies van der Rohe einen Blankoscheck aus. So sind nur wertvollste Materialien wie Onyx aus Marokko, italieniescher Travertin oder Palisanderholz aus Südostasien verbaut. Leider konnte das Ehepaar Tugendhat die Vila nur 7 Jahre lang genießen, ehe die Eheleute 1938 in die Schweiz fliehen mussten. Sie kamen nie zurück.

Im Erdgeschoss fühlt man sich wie in einem Dschungel. Dieses Foto ist von innen, aus dem Wohnzimmer aufgenommen, aber der Garten scheint geradezu ins Innere hineinzuwachsen. Die besondere Atmosphäre des Hauses spüren wir alle. Hier könnten wir den Rest des Tages verbringen! Doch dafür ist keine Zeit, denn jetzt heißt es Abschied nehmen und die Stuttgarter Delegation reist nach einem letzten Gruppenbild gen Heimat.

Vielen Dank an den Fotografen Robert Thiele, der sich auf eine sehr wackelige Leiter gestellt hat, um dieses Foto zu machen!

Am Nachmittag komme ich endlich dazu, die historische Brünner Altstadt zu besichtigen. Als Ziel für einen Städtetrip ist Brünn unbedingt zu empfehlen: Von overtourism wie in vielen anderen Städten ist hier überhaupt nichts zu merken. Außerdem scheint es fast nirgends Baustellen zu geben, was für eine Stuttgarterin enorm entspannend ist. Alles ist wunderbar schmuck renoviert und hergerichtet. Außerdem scheinen die Brünner Sinn für Humor zu haben. An der Kirche des Heiligen Sankt Jakob dreht einem ein kleines Männchen über dem südlichen Turmfenster das nackte Hinterteil zu.

Die zweite Kuriosität ist der schiefe Turm von Brünn am gotischen Portal des Alten Rathauses, des ältesten historischen Gebäudes in Brünn aus dem 13. Jahrhundert. Es wird gemunkelt, dass das schiefe Türmchen von einem Steinmetz geschaffen wurde, der für seine Arbeit nicht bezahlt wurde.

Auf den Turm des Alten Rathauses kann man steigen und genießt einen fantastischen Rundblick. Es fühlt sich fast an wie über den Dächern von Paris!

Die Aussicht habe ich ganz für mich alleine. Nein, das sind noch zwei junge Frauen, Vendula und Petra. Ich frage sie, ob sie wissen, dass Stuttgart und Brünn eine Partnerschaft haben. Und wie es der Zufall so will: „Mein Lieblingsgebäude in Stuttgart ist die Stadtbibliothek!“, platzt es in perfektem Deutsch aus Vendula heraus. Sie hat Deutsch studiert, war schon viermal in Stuttgart und auch im Schwarzwald, weil sie für Fischer-Dübel arbeitet! Und als ob es der Zufälle nicht genug sind, war sie auch schon bei einer Hochzeit in Ostfildern im Scharnhauser Park als Trauzeugin im Stadthaus. Das wiederum wurde während meiner Zeit bei der VHS Ostfildern eingeweiht. So klein ist die Welt! „Ich war gerade in Berlin“, erzählt sie. „Ich bin total begeistert von Europa!“

Und nach dieser guten Nachricht endet der Tag auf dem wunderschönen Krautmarkt im sehr coolen Café Momenta bei einem Glas Brünner Grüner Veltliner für umgerechnet 1,50 Euro. Und das im Herzen Brünns. Die Abendsonne lacht, und das Schwabenherz auch!

Krautmarkt

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