Auf Wiedersehen (in) Brünn!

Brünn/Brno Tag 6: Am letzten Tag geht es in das unterirdische Brünner Labyrinth und ich werde mit Handschlag verabschiedet.

Heute Morgen unterhalte ich mich mit Martin. Martin ist Barista und arbeitet an einem Kaffee-Wägelchen auf dem Moravské-Platz. Er studiert Elektronik und ist in Brünn geboren. Ich frage ihn, was er von Brünn hält, denn Petr vom Festival „Meeting Brno“ hat mir am Vorabend erzählt, dass die Stadt vor 10, 15 Jahren total verschnarcht war. Dann hätten viele junge Leute angefangen zu reisen, und das, was sie erlebt haben, zurück in die Stadt getragen. „Du erlebst Brünn im bestmöglichen Moment“, meinte er. Als ich ihn fragte, ob er keine Angst vor overtourism hat, musste er lachen. „So schnell wird sich das nicht ändern. Overtourism ist hier kein Thema!“
Martin ist derselben Meinung wie Petr. „Ja, die Stadt verändert sich. Immer mehr junge Leute kommen hierher, erst zum Studium, dann bleiben sie hier. Es gibt Jobs, vor allem in der IT.“ Von der Partnerschaft zwischen Brünn und Stuttgart hört er zum ersten Mal. Und was hält er von der EU? „Die EU ist nicht perfekt, aber es ist besser, drin zu sein, als draußen.“ Das klang bei Hana gestern ganz ähnlich.
Die Welt mag Brünn noch nicht so richtig entdeckt haben, aber morgens um halb neun ist der Markt auf dem Krautmarkt fest in asiatischer Hand. Die asiatischen Reisegruppen sind auf jeden Fall schon da! Auf dem Markt mit seiner schönen Häuserkulisse dominieren Zwiebeln, Beeren und Pflanzen.

Was man oben nicht ahnt: Der Krautmarkt führt ein zweites, unterirdisches Leben. Brünn ist nämlich durchzogen von einem unterirdischen Labyrinth aus Gängen, Tunneln, Stollen, Krypten und Kellern. Der 10-Z-Bunker, dessen Eingang ich gestern gepostet habe (das war das Foto mit dem orangenen Trabi) macht leider zu spät auf. Dort hätte ich einen Bunker aus den Zeiten des Kommunismus besichtigen können. Stattdessen gehe ich mit einer tschechischen Schülergruppe durch das Labyrinth unter dem Krautmarkt und lausche der wunderbaren tschechischen Sprache. Die Schüler beäugen mich neugierig. Wie gerne würde ich Tschechisch sprechen! Immerhin habe ich die letzten Tage davon profitiert, meinen (tschechischen) Namen nicht buchstabieren zu müssen!
Unter dem Krautmarkt spielte sich im Mittelalter geschäftiger Handel ab. Beispielsweise wurde dort der Wein gelagert, denn in Brünn wurde schon immer Wein angebaut. Der schmeckt sehr lecker, auch wenn der Bierkonsum deutlich dominiert. Es gab sogar unterirdische Schenken und man beschäftigte sich mit Alchimie.

Gerne wäre ich zum Abschied auf den Turm der Kathedrale gestiegen, aber der ist erst ab Mittag geöffnet. Läuten tun die Glocken dagegen schon um elf Uhr. Der Sage nach wurde Brünn im Jahre 1645 im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden belagert, die die Stadt bis um zwölf Uhr eines bestimmten Tages einnehmen wollten, andernfalls würden sie abziehen. Der schlaue Brünner Kommandant ließ die Mittagsglocken schon um elf Uhr läuten, und die Schweden zogen unverrichteter Dinge ab.

Auch für mich heißt es Abschied nehmen, nach proppenvollen, bewegenden, aufregenden und überraschenden Erlebnissen und Begegnungen. Eine neue Welt hat sich aufgetan. Am meisten beeindruckt hat mich der Versöhnungsmarsch – die Mutter mit den drei kleinen Kindern, die hochschwangere Frau, die den beschwerlichen Weg voller Fröhlichkeit gegangen sind. Nicht jeder hier mag von Europa schwärmen. Aber viele wissen, dass Europa die einzige Zukunft ist, die Europa hat.

Der Taxifahrer, der mich zum Bahnhof gebracht hat, verabschiedet sich mit Handschlag. Das passt zu dieser Stadt, wo die Autos immer an den Zebrastreifen gehalten haben, was in Stuttgart längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Wenn Sie jetzt Lust bekommen haben, nach Brünn zu fahren: Es gibt im Herbst von Stuttgart aus gleich drei Möglichkeiten, mit den Anstiftern (19.-22.9.), Pro Stuttgart (10.-16.10.) und dem Europazentrum (27.-30.10.). Machen Sie Gebrauch davon. Diese wunderbare Stadt hat es verdient und Sie pflegen damit die Stuttgarter Städtepartnerschaft und die guten Europabeziehungen. Und wer weiß, wie lange der Geheimtipp Brno tatsächlich geheim bleibt!

Und in der Zwischenzeit kann man in Stuttgart den Sommer genießen. Ich freue mich heute auf den Noverre-Abend im Stuttgarter Ballett, wo sich wie jedes Jahr Nachwuchstalente im Choreographieren ausprobieren dürfen.
UND vor allem auf mein Theaterstück „Allein unter Schwaben“, das im Juli im Theater der Altstadt wiederaufgenommen wird. Mehr unter https://www.theater-der-altstadt.de!

Der Blog macht jetzt ein bisschen Pfingstpause und meldet sich nach den Pfingstferien wieder!

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