Gesehen. Green Book. Eine besondere Freundschaft

Filme über scheinbar unmögliche Freundschaften zwischen sehr unterschiedlichen Charakteren hat man schon so manche gesehen, man denke nur an „Ziemlich beste Freunde“ oder „Il postino“, die Geschichte über Pablo Neruda und seinen Briefträger. Green Book erzählt von der Freundschaft zwischen einem weißen Chauffeur und einem schwarzen Pianisten, und hinterfragt Rassismus und Rollenklischees. Das ist löblich, aber reicht das, um dem Film bei der Oscarverleihung Preise zu wünschen?

Green Book ist gleich für vier Oscars nominiert, bester Film, bestes Originaldrehbuch, bester Hauptdarsteller (Viggo Mortensen), bester Nebendarsteller (Mahersala Ali) – wobei man sich darüber streiten kann, ob es nicht zwei Hauptdarsteller in dieser Geschichte gibt. Erzählt wird die (wahre) Geschichte einer Konzerttournee in die amerikanischen Südstaaten im Jahr 1962. Der schwarze Pianist Dr. Don Shirley sucht einen Chauffeur, der ihn nicht nur fahren, sondern im Notfall auch vor rassistischen Übergriffen schützen kann, und findet ihn in einem Rausschmeißer des New Yorker Nachtclubs Copacabana. Tony „Lip“ Vallelonga, Amerikaner italienischer Herkunft, hält nicht viel von Schwarzen, braucht aber dringend Geld und nimmt den Job deshalb widerstrebend an. Auf ihrer skurrilen Reise durch die Südstaaten wird Tony ständig mit der Arroganz und dem Rassismus der Weißen konfrontiert, die Shirley zwar in ihren riesigen Südstaatenhäusern und Konzertsälen auftreten lassen und ihm dort zu Füßen liegen, ihm aber gleichzeitig verweigern, die gleichen Toiletten zu benutzen, dieselben Restaurants zu besuchen und in denselben Hotels zu übernachten – daher der Name des Films. Das „Negro Motorist Green Book“ von Victor H. Green listete sichere Übernachtungsmöglichkeiten für Farbige auf. Wobei auch das keine Garantie ist: Immer wieder muss Tony seinen Arbeitgeber aus gefährlichen Situationen heraushauen. Aus der anfänglichen Zweckgemeinschaft wird ganz langsam eine Freundschaft, dabei könnten die beiden unterschiedlicher nicht sein. Der hochgebildete und auf korrekte Umgangsformen sehr viel Wert legende Pianist leidet entsetzlich unter dem ständigen Rauchen, Trinken und Fressen seines Chauffeurs (man kann es wirklich nicht anders nennen, Viggo Mortensen hat sich für diese Rolle eine ordentlichen Wampe angefressen), während Tony vom herablassenden Getue seines Chefs schnell die Schnauze voll hat. Zudem hat Tony längst begriffen, wie einsam Shirley ist.

Man weiß von Anfang an, worauf diese Geschichte hinausläuft, und trotzdem ertappt man sich auch als Zuschauer immer wieder dabei, dass man sich wundert, dass hier der weiße für den schwarzen Mann arbeitet. Eine der eindrücklichsten Szenen in diesem Film kommt ganz ohne Worte aus – als nämlich Tony Wasser an der Limousine nachfüllen muss und auf der anderen Straßenseite schwarze Landarbeiter plötzlich bemerken, dass da ein Weißer einem Schwarzen die Tür aufhält. Die schockierten Blicke der Landarbeiter, das Unwohlsein des Pianisten, als er diese Blicke spürt, ist einer der besten Momente in diesem Film, ebenso wie die Diskussion, die Tony und Shirley darüber führen, was es bedeutet, schwarz zu sein. Tony erklärt Shirley nämlich ziemlich unverblümt, dass er, Tony, viel „schwärzer“ ist als Shirley selber, weil er in der Bronx aufgewachsen ist, während Shirley ein privilegiertes Dasein führt. Tatsächlich wirkt Shirley, als lebe er im Goldenen Käfig, nicht wissend, wer er ist und wo er hingehört. Seiner großen Liebe, der klassischen Musik, hat er abgeschworen, weil er damit von einem weißen Publikum niemals gehört werden würde, stattdessen spielt er Jazz und Unterhaltungsmusik.

Letztlich ist das ein Feelgood-Movie, in dem das Gute siegt und Tony seine Vorurteile überwindet, ein Film mit sehr viel Komik, sehr vielen Hollywood-Momenten und einer Hollywood-Weihnacht am Schluss. Dagegen ist nichts zu haben. Nicht alle Filme über Rassismus und Segregation müssen so brutal unter die Haut gehen wie „Twelve years a slave.“ Shirleys Familie hat den Film übrigens kritisiert, weil sie der Meinung war, er diene nur als Schablone für die Geschichte eines Weißen, der letztlich das Herz am rechten Fleck hat. Ich finde, der Film ist absolut sehens- und wegen der unglaublich fantastischen Musik, die ihn von vorn bis hinten durchzieht, auch absolut hörenswert. Einen Oscar würde ich ihm nicht geben, dazu ist er doch ein wenig zu klischeehaft. Shirley und Vallelonga waren übrigens bis zu ihrem Lebensende – beide starben im Jahr 2013 – befreundet. Und das ist dann wieder eine gute Botschaft aus dem wahren Leben. Hier noch eine kleine Hörprobe vom echten Don Shirley, der aus „Lullaby of Birdland“ dann mal eben eine Fuge von Bach macht…

P.S. Am Sonntag 11 Uhr „Lesezeichen“ im Theater der Altstadt!
P.P.S. Der Countdown läuft – am 1. März erscheint die vollständig überarbeitete „Gebrauchsanweisung für Stuttgart!“

1 Kommentar

  1. Liebe Elisabeth Kabatek, danke, Ihr Blog hat mich letztlich veranlasst, diesen grandiosen Film – wow 3 OSCARS – noch gerade sehen zu können. Toll, dass diese wahre Freundschaft tatsächlich bis zum Tod von Tony 2013 angehalten hat.
    Werde ihn mir im TV irgendwann for sure noch einmal ansehen.
    Herzlichst aus MH a.d. Ruhr nach Stuagart

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